Superheldenakademie
Ninjutsu – Ninpo
von Michael André-Korbl (15. DAN Bujinkan Ninpo Taijutsu)
Einleitung
Immer wieder werde ich gefragt: „Was ist Ninjutsu eigentlich?“
Die einfache Antwort ist: „Ninjutsu ist eine japanische Kampfkunst!“
Diese einfache Antwort reicht aber meistens nicht aus, um allen Vorurteilen und natürlich der Neugier von Laien und
Kampfkünstlern zu begegnen. Also hole ich dann etwas weiter aus, versuche die Kunst zu charakterisieren, zu beschreiben,
abzugrenzen, zu vergleichen, und manchmal auch rein persönlich zu bewerten.
Hier also ein Versuch, die sonst oft spontanen Erklärungen und Antworten systematisch zu behandeln und somit eine Kunst zu
beschreiben, die es immerhin geschafft hat, mich als Schüler zu gewinnen, obwohl ich viele andere Kampfkünste studiert und
ausgeübt habe, und die mir so attraktiv erscheint, dass ich sie mittlerweile über 20 Jahre ausübe.
Zunächst zu den Begriffen.
Ninjutsu kann man übersetzen mit der Fertigkeit, sich zu verstecken oder zu verbergen, oder auch auszuharren. Der häufig von
Schülern und Lehrern der Kampfkunst gebrauchte Begriff Ninpo geht über die reine Fertigkeit hinaus. Übersetzen lässt sich PO
mit Methode oder Weg und bezieht den übergreifenden Aspekt mit ein. NINPO geht über das Handwerk des Kampfes hinaus
und erfasst alle Lebensbereiche.
Um die Begriffe verstehen zu können, muss man zumindest kurz auf die Geschichte der Kunst eingehen.
Geschichte
Die Kunst des NINJUTSU wurde aus einer Philosophie der Welterkenntnis als Lebenskunst, später Überlebenskunst und noch
später als Spezialgebiet militärischer Art von den Mystikern der IGA- und KOGA - Gebirgsregionen in Japan entwickelt.
Vor Jahrhunderten gab es in bewaldeten Gebirgsregionen im Süden Zentraljapans einige Großfamilien, die sich auf die Suche
begaben nach Erleuchtung, mit Hilfe des praktischen Mystizismus, dessen Kernstück z. T. aus den Tantrischen Lehren
aus Tibet kam.
Diese Mystiker untersuchten die natürlichen Zusammenhänge der Dinge, um daraus ihre eigene Rolle in der Welt abzuleiten.
Ihre Ziele waren:
• Erleuchtung des Einzelnen,
• Erreichen eines kosmischen Bewusstseins,
• Vermögen, innerhalb dieser umfassenden Erkenntnis zu wirken.
Dazu führten sie ein karges, natürliches Leben in den Bergen. Von Außenstehenden wurden diese Leute oft falsch verstanden
oder gar gefürchtet, und so mussten sie, aufgrund ihres abgeschiedenen Lebens und der ständigen Möglichkeit der
Konfrontation lernen, zu überleben und sich selbst zu verteidigen und dies als notwendigen Teil ihrer persönlichen Entwicklung
zu betrachten. Dadurch erhielt Ninjutsu kämpferische und sogar teilweise kriegerische Züge.
Es führte dazu, dass Priester am Hof des Kaisers ihren Einfluss geltend machten, um Truppen zu entsenden. In den folgenden
jahrhundertelangen Kämpfen entstanden die Legenden von übernatürlichen NINJA - Kriegern. Während dieser Zeit verstärkte
sich auch der Einfluss der Kriegskünste. Die Fähigkeiten der NINJA wurden bei den Militärs immer beliebter und es entwickelten
sich regelrechte Schulen, in denen in kürzester Zeit Spione und Elitekämpfer herangebildet wurden. Körperliche Tricks
ersetzten von nun an die übernatürlichen Fähigkeiten der früheren NINJA. Neue Kampfkünste, die auf der Irreführung der Sinne
des Gegners beruhten, gehörten von dieser Zeit an zum Rüstzeug der NINJA, die früher motiviert waren von der Liebe zu ihren
Familien und jetzt gefürchtet wurden wegen ihrer Skrupellosigkeit und unbeugsamen Entschlossenheit.
Andere Quellen berichten, dass ca. 700 n. Chr., laut der Annalen, die NINJA erstmals als Gruppe von Leibwächtern des
Prinzregenten Erwähnung fanden und als SHINOBI bezeichnet wurden. Sie waren Spezialisten mit Schwerpunkten in den
Elementen und bestimmten Fähigkeiten (ähnlich der heutigen Spezialeinheiten). Sie wurden als Spione eingesetzt, um
Informationen für die Entscheidungen des Prinzregenten zu beschaffen.
Wie weit reicht die Geschichte zurück? Die älteste RYU HA der 9 Schulen, die heute unter der Tradition des Bujinkan
zusammengefasst sind, besitzt DENSHO, die zwischen 1000 und 2000 Jahre zurückreichen.
Philosophie
Ziel des NINJA ist es, von seinem persönlichen natürlichen Wissen in jeder Situation geführt zu werden. Dazu muss er sich
selbst erkennen und stärken.
Das heißt, er muss versuchen, soziale, kulturelle und persönliche gefühlsbedingte Hindernisse zu erkennen und aus dem Weg
zu räumen, damit er natürlich reagieren kann und so Irreführung und Betrug in jeder Lebenssituation erkennen und umgehen
kann. Hierfür stehen im verschiedene Werkzeuge zur Verfügung.
IN und YO - Ausgleichskonzept
Vor dem Anfang existierte nur ein einziger Gedanke als Entwicklungspotential: "die allumfassende Einzigkeit = TAIKYOKU"
(dies ist in vielen Religionen ebenso: Hinduismus, Taoismus, Christentum (Wort), Lao Tse).
Dies übersteigt unsere Vorstellungskraft! Es ist nicht möglich, das allumfassende Ganze als Außenstehender zu betrachten und
zugleich ein winziger Teil dieser Totalität zu sein.
Aus dem TAIKYOKU entstand die erste fundamentale Polarität, nichts Festes oder Konkretes, sondern die potentielle
Individualisierung aller Dinge des Universums.
IN als Synonym für die Dunkelheit,
das Weibliche,
das Dahingehen,
das Negative (nicht wertend) und
die Elektronen.
YO als Synonym für das Licht,
das Männliche,
das Kommen,
das Positive (nicht wertend) und
die Protonen.
Die Sichtweise der NINJA sind kurz skizziert nun folgende:
Alle bestehenden Dinge stammen von einer Universalquelle ab
und entwickelten sich von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt zu ihrer zahllosen Vielfalt.
Deshalb stehen sie in bestimmten Verhältnis zu einander.
Je nachdem, unter welchem Gesichtspunkt man dieses Verhältnis betrachtet,
kann man den verschiedenen Elementen einer Situation ein anderes Gewicht geben,
wobei diese alle weiter bestehen,
jedoch eine andere Beziehung zum Ganzen erhalten.
Die Methoden des TEN CHI JIN nutzen drei grundsätzliche Wege, diese Veränderungen herbeizuführen indem sie aus der
Sicht des Himmels TEN (Veränderung der Umgebung), aus der Sicht der Erde CHI (Veränderung des Verhältnisses zur
Umgebung) und aus der Sicht der Menschheit JIN (Darstellung der Situation als verändert, obwohl sich nichts geändert hat)
versuchen, die Harmonie der Polarität wieder herzustellen.
Wichtige Werkzeuge der Erkenntnis und des Handelns kommen zum Teil aus dem TENDAI MIKKYO Buddhismus und dem
SHINTOISMUS.
Aus dem MIKKYO stammen die erklärenden Mandala TAIZOKAI und KONGOKAI, die versuchen, die Welt aus der Betrachtung
des Innern des Menschen und der äußeren Welt zu verstehen.
Ein Schlüssel für das erfolgreiche Handeln sind SAN MITSU oder die Drei Geheimnisse.
Weiterhin wird das GODAI System der festen Elemente benutzt, um die Wirklichkeit und sich selbst zu analysieren.
Komplexe Vorgänge auch in der Taktik und Strategie haben das GOGYO System der Wandlungen der Elemente zum
Hintergrund.
Das GOSHINBO, KUJI KIRI und KUJI IN sind mächtige Werkzeuge zur Energiekanalisierung, um sich zu schützen und Ziele zu
verwirklichen.
Gegenwart
Das besondere für mich an dieser Kampfkunst ist zum einen die über tausendjährige Geschichte, in der durch viele Krieger und
Kriegerinnen eine Essenz von Praktiken und Prinzipien entwickelt wurde, die sich bis heute bewährt hat, weil sie immer in der
jeweiligen Epoche den Gegebenheiten und Anforderungen angepasst wurde.
Zum anderen ist es genau diese Flexibilität der Kunst, die sie für mich heute in meinem Lebensumfeld so wertvoll macht. Genau
hier liegt aber auch die Herausforderung: "Die uralten, bewährten Erkenntnisse auf die heutige Zeit und die Notwendigkeiten der
heutigen Gesellschaft hin und auf meine Person anzupassen". Nicht nur Formen lernen und wiederholen, sondern die
Prinzipien erforschen und sie auf die Umgebung und den eigenen Körper anpassen.
Womit beschäftigt sich Ninjutsu aktuell?
Die Basis
des Trainings besteht aus Bewegungsschulung, Entwicklung der Sinne und der gesamten körperlichen und geistigen
Ressourcen.
Ein Teil
des Trainings besteht, wie in anderen Kampfkünsten auch, im Training von überlieferten Formen und Lösungen für den
Kampf in Form von KATAS. Der Begriff KATA entspricht im NINJUTSU eher dem Begriff KUMITE im Karate. Es sind immer
Kampfsituationen gegen einen oder mehrere Gegner, mit und ohne Waffen. Es gibt ein oder mehrere Standard Lösungen und
viele HENKA, d.h. Variationen, die sich durch die veränderten Einflüsse der Faktoren ergeben. Jeder Angriff ist immer etwas
anders, dementsprechend sind auch angepasste Reaktionen erforderlich. Das Prinzip steht im Vordergrund, nicht die Technik.
Ein weiterer Teil
besteht aus dem Üben mit den unterschiedlichsten Waffen. Jede Waffe verändert ein oder mehrere Faktoren
einer Auseinandersetzung, so dass der Schüler seine Techniken immer wieder anpassen und verändern muss.
So verändert sich beim ROKKUSHAKU BO (6 Fuß langer Stock) die Distanz entscheidend, während beim SANSHKU BO (3
Fuß langer Stock oder auch HANBO) eher der Winkel im Vordergrund steht. Weitere Prinzipien kommen durch Klingen
(Messer, Schwert, Macheten, etc.) oder flexible Waffen (Ketten, Seile, etc.) hinzu. Die unterschiedlichen Prinzipien, die von den
einzelnen Waffen betont werden, erhöhen die variable Verfügbarkeit von Techniken und erleichtern die Übertragung auf neue
Situationen mit anderen, auch modernen Waffen oder waffenähnlichen Gegenständen. Ein weiterer Effekt des Waffentrainings
sind jedoch auch ein immer tieferes Verständnis von Techniken und Prinzipien und Erkennen von tieferen Bedeutungen der
KATA sowie tiefere Einsichten in Taktik, Strategie und Philosophie (KUDEN, ev. vglb. mit BUNKAI in anderen Kampfkünsten).
So wirkt das Waffentraining auf den waffenlosen Kampf zurück bzw. es besteht eine Wechselwirkung.
Ergänzend hierzu
werden viele Bereiche erforscht und trainiert, die hilfreich für das Verständnis sind oder notwendig zu einer
umfassenden Lebenskunst gehören. Beispiele sind: Erste Hilfe, Survival, Techniken des Entkommens, Eindringens oder
Verfolgens, strategische und taktische Übungen im Team in verschiedenen Umgebungen, Überwinden von Hindernissen,
Grundlagen von Trainingsprinzipien, Personenschutzausbildung, etc.
Ein wichtiger Bestandteil
ist das geistige Training, das sich durch alle anderen Formen des Trainings begleitend zieht. Hierzu
gehören ebenso Philosophie und Meditation, wie auch psychologisches Situationsgefahrentraining, Selbstanalyse und
Selbstbehauptung, Abbau der störenden Egozentriertheit, Erschließen der inneren Werte und erkennen und einordnen der
äußeren Werte.
Einer meiner Lehrer hat das Ziel des NINJUTSU für sich einmal so formuliert: "For me Ninjutsu is the art to learn and to live a
happy life!" Er lehnt sich an das Bekenntnis eines Kriegers an:
THE WARRIOR CREED
by Robert L. Humphrey (Iwo Jima Marine)
Wherever I go, everyone is a little bit safer because I am there.
Wherever I am, anyone in need has a friend.
Whenever I return home, everyone is happy I am there.
"It's a better life!"